Die zweite Republik

Mobutu Diktatur

Für die Zeit zwischen 1971 und 1997 wird in diesem Papier der Name Zaire (bzw. das Adjektiv zairisch) verwandt. Mobutu ersetzte 1971 den Landes- und Flussnamen Kongo durch Zaire. Die neue Namensgebung sollte die Unterstreichung der von ihm definierten gesamtstaatlichen nachkolonialen Identität bekräftigen.

Tshombe, wie oben gesagt, seit 1964 Regierungschef in Kinshasa, bildete in Vorbereitung der allgemeinen Wahlen im Frühjahr 1965 eine zerbrechliche Koalition und errang eine Mehrheit. Nachdem er seine Kandidatur für die im selben Jahr stattfindenden Präsidentschaftswahlen angekündigt hatte, wurde er von Staatspräsident Kasavubu seines Amtes enthoben. Es kam wieder zum offenen Konflikt zwischen dem Staatspräsidenten (Kasavubu) und dem Ministerpräsidenten (Tshombe). Mithilfe der Armee und mit Unterstützung der USA ergriff Mobutu, der sich durch „Säuberungen“ in der Armee zum unangefochtenen Chef der Streitkräfte machte, im November 1965 die Macht, stürzte Kasavubu, übernahm selbst das Amt des Präsidenten und verbot alle politischen Aktivitäten für die Dauer von 5 Jahren.

Mobutu Sese Seko
Mobutu Sese Seko
Knapp zwei Jahre danach wurde mit der Verkündung des „Manifests von N’Sele“ am 20. Mai 1967 die Einheitspartei „Mouvement Populaire de la Révolution“ (MPR, Revolutionäre Volksbewegung) gegründet. Ferner löste Mobutu alle ethnischen und separatistischen Organisationen auf und wandelte die durch die Verfassung von Luluabourg (1964) ins Leben gerufene und aus 21 Provinzen bestehenden föderalistische Republik Kongo in einen Zentralstaat mit neun Provinzen um.

Das „Manifest von N’Sele“ definierte sich als eine „neue politische Philosophie„, die sich im Begriff „Authentizität“ zusammenfassen ließt. Die „Authentizität“ ist ihren Erfindern zufolge die Verweigerung, die aufoktroyierte, d.h. fremdbestimmte Ideologie blind zu übernehmen, und der Wille, zur eigenen „Ursprünglichkeit“ zurückzuführen und die Werte der Vorfahren wiederzuentdecken. In diesem Sinne wurden am 21. 10. 1971 das Land in Republik Zaire umbenannt, eine neue Fahne und eine neue Nationalhymne eingeführt und am 15. Februar 1972 die christlichen Vornamen afrikanisiert.

Ferner wurde versucht, die „Authentizität“ umzusetzen mittels

  • der ab 1973 dekretierten Zairisierung der Wirtschaft, Zairisierung, die die Übertragung der Leitung wichtiger Wirtschaftsunternehmen auf von der Einheitspartei favorisierte Kader aus Partei und Verwaltung vorsah;
  • der 1974 beschleunigten Kampagne unter dem Motto „Revolution im Rahmen der Revolution“ oder „Radikalisierung“, mit der Verordnung zur Nationalisierung der Produktionsmittel sowie mit verschiedenen Reformen z.B. im Bildungswesen.

Aus wirtschaftlichen Gründen mussten diese Maßnahmen jedoch zu erheblichen Teilen in der Folgezeit revidiert werden.

Die auf die „Authentizität“ zurückzuführende Verherrlichung der vorkolonialen Strukturen – eine Verherrlichung, die Eingang in die „Dritte-Welt-Romanitk“ fand -, ist ein dünner Aufguß der – „Négritude à la Senghor“, die wiederum fälschlicherweise auf Frobenius‘ Thesen von der Einheitlichkeit der afrikanischen Kultur südlich der Sahara fußt. Ich sage hier fälschlicherweise deshalb, weil Frobenius dies jedoch nie behauptet hatte. Der Herausgeber des von ihm publizierten Buches „Kulturgeschichte Afrikas“ (Zürich 1954), Jan, merkte an, dass sich in die bei Gallimard (Paris) erschienene französische Übersetzung ein Fehler eingeschlichen habe (B. Tibi 1979). Um der Misere der Gegenwart zu entfliehen, flüchtet sich die „Authentizität“ in die Vergangenheit und verklärt sie metaphysisch.

Kritisch hinzuzufügen ist, dass die Vergangenheit, auf die sich die „Authentizität“ bezieht, keinesfalls so monolithisch war, wie sie hingestellt wird. Es gibt keine gemeinsame Tradition für die Völker des Zaire. Der Zaire ist ein Vielvölkerstaat, der durch Herkunfts- und Organisationsunterschiede, kulturelle und sprachliche Diversität gekennzeichnet ist.

Die MPR, in der alle Zairer qua Geburt Zwangsmitglieder waren, stellte die einzige politische Partei und die höchste Institution des Landes dar. Der „Gründer-Präsident“ (Président-Fondateur), der Kongress, das Politbüro, das Zentral- und Exekutivkomitee bildeten die MPR-Zentralorgane. Das Parlament (Conseil législatif national) bestand aus den für 5 Jahre gewählten „Volkskommissaren“ (Commisaires du Peuple), wobei hinzuzufügen ist, dass die Kandidaten ausschließlich von der Parteiführung aufgestellt wurden. Die Regionalparlamente setzen sich zu 2/3 aus indirekt (aus dem Kreis der Stadt- und Gemeinderäte) gewählten und zu 1/3 aus vom „Gründer-Präsidenten“ ernannten Vertretern zusammen.

Die Machtfülle des „Gründer-Präsidenten“ war praktisch unbeschränkt: Er war der Chef des höchsten Gremiums der Einheitspartei und der Armeeoberbefehlshaber. Ihm allein stand das Ernennungs- und Entlassungsrecht sowohl der Minister, der Regionalgouverneure und der führenden Vertreter der staatlichen Verwaltung und der halbstaatlichen Betriebe als auch der höchsten Richter zu. Das Parlament war seiner Kontrollfunktionen enthoben; die Trennung der Gewalten und damit die Rechtsstaatlichkeit war auf eine Kulisse degradiert, vor der der „Gründer-Präsident“ nach eigenen Vorstellungen das „demokratische und soziale Staatsprinzip“ interpretieren und verwirklichen konnte.

Die Verwandtschaft dieses politischen Systems, das ortsüblich in vielen afrikanischen Ländern war, mit den Regimes sowjetischen Typs war nicht zufällig. Und dies, obwohl es sich aus instrumentalen Gründen zum westlichen Modell und zu Prinzipien der sogenannten freien Marktwirtschaft bekannte (Achille Mbembe 1990:10).

Während der Diktatur Mobutus wurden zahlreiche Versuche unternommen, die einen Machtwechsel im Land zum Ziel hatten. In Ergänzung zu den am Anfang der 60er Jahre (angefangen zur Zeit der Generalkommissare) von den Lumumbisten geführten zwei untereinander verbundenen Aufständen – im Kwilu ab Januar 1964 geführt von Pierre Mulele (der trotz Amnestie am 8. 10 1968 hingerichtet wurde) und im gesamten Osten ab Mai 1964 geführt von Gaston Suomialot und Christophe Gbenye und unter Teilnahme von L.-D. Kabila -, gab es verschiedene Aktionen in diese Richtung. Zu nennen sind: die Studentenbewegung von 1969, der von Kudiakubanza unter der Teilnahme einiger Offiziere versuchte Putsch von 1978, die – von Angola ausgehenden – gescheiterten Invasionen von 1977 und 1978 der ehemaligen Katanga-Gendarmen, die Besetzung der Hafenstadt Moba durch die Freiheitskämpfer der „Partei der Volksrevolution“ von L.-D. Kabila im November 1984. Hinzu kam die von den 13 Parlamentariern innerhalb der Einheitspartei initiierte Aktion mit dem Ziel, das MPR-Regime von innen zu reformieren und einen wirkungsvollen Beitrag zum politischen Richtungswechsel zu leisten. Das Scheitern dieser letzten Aktion führte zur Gründung der ersten zairischen Oppositionspartei UDPS (Demokratische Union für den Sozialen Fortschritt) unter dem Regime Mobutu.

  • Machtübernahme und Etablierung der Einheitspartei:
    • Mobutu putscht 1965 mit Unterstützung der Armee und US-amerikanischer Hilfe.
    • Verbot aller politischen Aktivitäten und Gründung der Einheitspartei MPR 1967.
    • Proklamation der „Authentizität“ als neue politische Philosophie.
  • Zairisierung und wirtschaftliche Folgen:
    • Verstaatlichung von Unternehmen und Übertragung an Parteikader („Zairisierung“).
    • Radikalisierung der Revolution ab 1974.
    • Wirtschaftliche Probleme und spätere Revision der Maßnahmen.
  • Verherrlichung der vorkolonialen Vergangenheit:
    • Idealisierung der Vergangenheit als „authentisch“.
    • Missverständnis der afrikanischen Kultur und Geschichte.
    • Ignorierung der Vielfalt der Völker im Zaire.
  • Machtfülle des „Gründer-Präsidenten“:
    • Mobutu als uneingeschränkter Führer der MPR und Staatsoberhaupt.
    • Kontrolle über alle wichtigen politischen und wirtschaftlichen Institutionen.
    • Aufhebung der Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit.
  • Versuche des Machtwechsels und die Gründung der UDPS:
    • Mehrere Aufstände und Putschversuche gegen Mobutu.
    • Gründung der ersten Oppositionspartei UDPS im Jahr 1984.

Übergangsperiode

Zur allgemeinen Situation

Seit etwa 1985 war die soziale Situation in Zaire sehr explosiv. Die Ausgaben für das staatliche Gesundheitswesen fielen von 1978 bis 1988 von 5 % auf 2 % des Budgets. Im gleichen Zeitraum ging der statistisch erfasste Schulbesuch von 92 % auf 76 % zurück. Eine Wirtschaftskrise ohnegleichen suchte das Land heim. Lohnerhöhungen im öffentlichen Dienst, im Bildungs- und Gesundheitswesen, obwohl sie im Staatshaushalt kräftig zu Buche schlugen, glichen die Inflation nur in geringem Maße aus. Der soziale Druck wuchs und schaffte sich explosionsartig Luft. Der daraus folgende Aufruhr stellte sich als Notzeichen dar.

Die Sanierungspolitik und Strukturanpassungsprogramme der Weltbank und Internationalem Währungsfonds mussten als völlig gescheitert angesehen werden. Eine Belebung der zairischen Wirtschaft war nicht möglich. Dabei ist das Land unheimlich reich an Bodenschätzen. Kupfer, Kobalt, Diamanten, Zink, Zinn und Mangan sind die wichtigsten Mineralien, aber auch Silber, Gold und so seltene und wertvolle Bodenschätze wie Cadmium, Wolfram, Niob, Tantal und Uran könnten abgebaut werden. Zaire stellt mehr als die Hälfte der Welt-Kobaltproduktion und 30 % der Industriediamantenproduktion dar. Diese reichen und vielfältigen Bodenschätze bieten gute Möglichkeiten für eine harmonische Entwicklung des Landes und seiner Menschen. Doch mussten dafür erst wesentliche Voraussetzungen geschaffen werden, z. B. politische Stabilität und klar definierte Wirtschaftspolitik.

Das Fehlen einer autozentrierten und dynamischen Wirtschaftspolitik allein erklärte jedoch die soziale und wirtschaftliche Krise, die Zaire heimsuchte, nicht hinreichend. Die Kapitalflucht durch reiche Zairer angesichts der erstarkten Kräfte der Opposition kamen hinzu. Vor allem aber die unkontrollierbare Korruption mit maßloser Privatisierung staatlicher Deviseneinkünfte durch den „Mobutu-Clan“ entzog Zaire weitgehend die Kreditwürdigkeit. „Wenn auch nur die Hälfte des zairischen Fluchtkapitals nach Zaire zurückfloss, braucht das Land keine Entwicklungsgelder“, hörte man damals in Kinshasa und in den westlichen Kanzleien.

  • Soziale und wirtschaftliche Krise:
    • Verschlechterung der sozialen Situation seit 1985.
    • Kürzungen im Gesundheitswesen und Bildungswesen.
    • Hyperinflation und sinkende Lebensstandards.
    • Scheitern der Sanierungspolitik der Weltbank und des IWF.
  • Reichtum an Bodenschätzen:
    • Zaire verfügt über große Vorkommen an Bodenschätzen (Kupfer, Kobalt, Diamanten etc.).
    • Potenzial für eine harmonische Entwicklung des Landes.
    • Mangelnde politische Stabilität und Wirtschaftspolitik behindern die Nutzung der Ressourcen.
  • Kapitalflucht und Korruption:
    • Bereicherung der Elite und Mobutu-Clans.
    • Entzug der Kreditwürdigkeit Zaires.
    • Verhinderung von Entwicklung durch unkontrollierte Korruption.

Die Demokratisierung ZaIres: ein Problem?

Im Geflecht internationaler Beziehungen war Zaire ins Abseits geraten. Mit dem Ende der Ost-West-Spannungen und der Auflösung der Sowjetunion wurde Zaire von den USA nicht mehr als Stützpfeiler im zentralen Afrika benötigt. Dies galt auch für seine Beziehungen zu Frankreich und der ehemaligen Kolonialmacht Belgien.

Vor diesem Hintergrund war es nicht erstaunlich, dass Mobutu dem internationalen Drängen nach der Demokratisierung in Zaire nachgeben musste. Zusätzlicher Druck wurde durch die negativen Ergebnisse der von ihm 1990 initiierten Volksbefragung ausgeübt. In einer ersten Phase, die mit seiner Rede am 24. April 1990 begann, stellte er sich als „überparteilicher Schiedsrichter“ dar, der das tägliche Regierungsgeschäft der bisherigen Einheitspartei (MPR) bei Zulassung von zwei oder drei Oppositionsparteien überlassen wollte. Die bislang strikte Kontrolle der Einheitspartei über alle Institutionen des Staates wurde gelockert, die die Gründung autonomer Gewerkschaften, unabhängiger Studentenbewegungen und freier Presseorgane erlaubt. Die im Wesentlichen auf Kinshasa beschränkten Zeitungen ergingen sich in vielfältiger, zum Teil schmähender Kritik am Regime und an den Zuständen in Zaire, was immer wieder auch Repressalien zur Folge hatte. Auch die Kleiderordnung veränderte sich: Der den Zairern verordnete „Abacost“-Anzug im „Mao-Look“ war nicht mehr obligatorisch, Krawatten durften wieder getragen werden. Auch das Hosen- und Perückenverbot für Frauen wurde aufgehoben, ebenso wie die bis dahin vorgeschriebene Anrede eines Zairers als „Citoyen“ („Bürger“).

Die anfängliche Begrenzung der Anzahl der Parteien wurde durch zahlreiche Neugründungen von Parteien überrannt. Als dies von Mobutu erkannt wurde, initiierte und unterstützte er offenbar die Gründung einer großen Anzahl von politischen Parteien, die sich anschließend mit der MPR vereinigten und die sogenannte „mouvance présidentielle“ bildeten. Die Folge: Die Parteienlandschaft wurde völlig zersplittert. Dem wirkte die wichtigsten Oppositionsparteien entgegen, indem sie sich zur „Heiligen Allianz“ („Union sacrée“) zusammenschlossen, um ihr Vorgehen abzustimmen. Einer der Hauptforderungen der „Heiligen Allianz“, der Einberufung einer „souveränen Nationalkonferenz“, kam Mobutu nach einiger Zeit des Zögerns erst im August 1991 nach.

Identitätspapiere wurden ausgegeben, um die legitime Anwesenheit von Delegierten sicherzustellen. Aber wie nicht anders zu erwarten, wurde ein neues spaltendes Stichwort lanciert, das die Gemüter bis in die zairischen Provinzen hinein erhitzte: „Geopolitik“. Gemeint ist damit ganz einfach die zahlenmäßige Stärke der Delegierten aus den einzelnen politischen Regionen im Verhältnis ihrer Bevölkerungsdichte. Im Januar 1992 – ein halbes Jahr nach der Eröffnung der Konferenz – meinte man feststellen zu müssen, dass z. B. einige Regionen überproportional repräsentiert waren.

In Anbetracht des Vorhergehenden liegt man nicht fehl in der Annahme, dass die Organisatoren der „Souveränen Nationalkonferenz“ diese in ungeordneten und, was die Formalität angeht, unsystematischer Weise hatten zusammentreten lassen, um ebendies später als Argument zur Sprengung der Nationalkonferenz und zur Infragestellung ihrer Legitimität zu benutzen.

Der von Mobutu einseitig ernannte Premierminister, Nguza Karl-i-Bond, löste dann auch die „Souveräne Nationalkonferenz“, am 19. Januar 1992, auf, was zu Unruhen und weitverbreiteten Streiks führte. Demonstrationen von Zehntausenden von Christen nach den Gottesdiensten am Sonntag, dem 16. Februar 1992, mit nichts als Bibeln und Kerzen in den Händen, wurden brutal aufgelöst. Es gab mindestens 17 Tote.

Abendstimmung
Baluba Maske, Foto: Harry’s Hamburger Hafenbasar
 
Unter dem internen und internationalen Druck sah sich Mobutu genötigt, die Wiedereinberufung der „Souveränen Nationalkonferenz“ im April 1992 zuzulassen. Die Wahl des Präsidiums unter Führung von Erzbischof Monsengwo galt nun als endgültig – was zugleich den Formalienstreit beendete, sodass der Weg zu den eigentlichen Aufgaben der „Souveränen Nationalkonferenz“ frei wurde: Ausarbeitung einer neuen Verfassung für die „Dritte Republik“ und Vorbereitung von allgemeinen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen. Es gelang der „Souveränen Nationalkonferenz“ auch, ihr drittes und viertes Ziel zu erreichen, nämlich die Bestimmung einer Übergangsregierung unter Führung von Etienne Tshisekedi und der Mitglieder des als Übergangsparlament vorgesehenen „Hohen Rates der Republik“ (HCR) durch Wahl.
 
  • Internationaler Druck und Mobutus Reaktion:
    • Ende des Ost-West-Konflikts und Bedeutungsverlust Zaires.
    • Internationaler Druck zur Demokratisierung.
    • Mobutus anfängliche Zugeständnisse: Zulassung von Oppositionsparteien, Lockerung der Kontrolle.
  • Zerplitterung der Parteienlandschaft:
    • Gründung zahlreicher neuer Parteien.
    • Mobutus Unterstützung einer „mouvance présidentielle“.
    • Bildung der „Heiligen Allianz“ durch die wichtigsten Oppositionsparteien.
  • Die „Souveräne Nationalkonferenz“:
    • Einberufung im August 1991.
    • Streit um die Legitimität der Delegierten.
    • Auflösung durch Mobutu im Januar 1992.
    • Unruhen und Streiks.
  • Wiedereinberufung und Ergebnisse:
    • Wiedereinberufung der Konferenz im April 1992.
    • Wahl des Präsidiums unter Erzbischof Monsengwo.
    • Ausarbeitung einer neuen Verfassung.
    • Bestimmung einer Übergangsregierung unter Etienne Tshisekedi.

Die Zersplitterung der Parteienlandschaft

Die Bilanz des vom Präs. Mobutu 1990 eingeleiteten Demokratisierungsprozesses, als Antwort auf die Ereignisse im Mittel- und Osteuropa und als Folge der negativen Ergebnisse der von ihm Anfang 1990 initiierten Volksbefragung, ist bis zum heutigen Tag insgesamt negativ. Man spricht, um hier einige Titel zu zitieren, die sich mit der Thematik beschäftigt haben, von einer „misslungene(n)“, „lärmende(n)“, sogar „chaotische(n) Transition“.

Die „Souveräne Nationalkonferenz“ hatte trotz der außerordentlichen Qualität der geleisteten Arbeiten ihr Ziel, nämlich die Errichtung eines demokratischen Staatssystems, verfehlt. Die angenommenen Beschlüsse und die errichteten Mechanismen und Strukturen zur Machtausübung, die eine bessere Zusammenarbeit zwischen dem Präsidialamt und der aus der „Souveränen Nationalkonferenz“ hervorgegangenen Regierung einerseits und der Führung des „Hohen Rates der Republik“ andererseits hätten ermöglichen können, existierten nur auf dem Papier.

Einerseits schien die Opposition in der Alltäglichkeit des Übergangs nicht in der Lage gewesen zu sein, wie einige Beobachter der kongolesischen politischen Szene meinen, ein alternatives Gesellschaftsmodell anzubieten. Ihr gemeinsamer Nenner war, wie die Streitigkeiten und die politischen Zwistigkeiten in ihrer Reihe genügend belegen, einzig die Opposition gegen die Einheitspartei (MPR). Demzufolge lässt sich, aufgrund des Fehlens eines gemeinsamen Programms der Zukunft, die Frage stellen, ob die Opposition gegen die Einheitspartei allein genügte, um Mobutu zum Teufel zu jagen und einen friedlichen Übergang von der Diktatur zur Demokratie zu ermöglichen. Nach zahlreichen Ernennungen von Premierministern aus dem Lager der Opposition durch Mobutu beschränkten sich die Anstrengungen der verbliebenen Opposition darauf, den durch den „Hohen Rat der Republik“, mit einer respektablen Mehrheit, als Premierminister gewählten E. Tshisekedi, wieder in das Amt des Regierungschefs einzusetzen.

In diesem Zusammenhang sprach man von der „Tshisekedisierung“ des politischen Kampfes, wobei hinzuzufügen ist, dass diese, also die „Tshisekedisierung“, bei anderen Politikern der Opposition Eifersucht und Neid erregt hatte, mit der Folge, dass eine Anzahl von ihnen die „Heilige Allianz“ verließ. Mit anderen Worten, obwohl E. Tshisekedi als Symbol der Einheit der Opposition galt, trug seine unanfechtbare Popularität zur Trennung der vereinigten oppositionellen Kräfte bei. Dies hatte zur Folge, dass Mobutu mehr denn je die Zügel der Macht in der Hand festhielt.

Zur Erinnerung ist an dieser Stelle zu erwähnen, dass die „Heilige Allianz“ gegründet wurde, um das Vorgehen der Opposition gegenüber der aus der MPR und ihr nahe stehenden Parteien bestehenden „mouvance présidentielle“ abzustimmen. Sie wurde später in „Heilige Allianz der Erneuerten Opposition“ (Birindwa) und „Heilige Allianz der Radikalen Opposition“ (Tshisekedi) gespalten. Wenn man den damaligen Presseberichten Glauben schenken darf, so hatte sogar eine Implosion der „Heiligen Allianz der Radikalen Opposition“ stattgefunden. Die „Union der Unabhängigen Demokraten“ (UDI), Mitglied der „Heiligen Allianz der Radikalen Opposition“, hatte im Juli 1993 die UDPS wegen „mangelnder Solidarität, innerer Widersprüche und Doppelzüngigkeit“ beschuldigt. Auch die zweite Partnerin der UDPS in der „Heiligen Allianz der Radikalen Opposition“, die „Demokratische Sozial-Christliche Partei“ (PDSC), hatte ebenfalls im Juli 1993 der UDPS die „Unglaubhaftigkeit“ vorgeworfen, nachdem letztere, also die UDPS, sich verweigert hatte, das rotierende Präsidium der „Heiligen Allianz der Radikalen Opposition“ an sie („Demokratische Sozial-Christliche Partei“) zu übergeben.

Andererseits hatten Mobutu und seine „Präsidialbewegung“ jeglichen konstruktiven Dialog verhindert. Zu den gesetzwidrigen Entscheidungen Mobutus unmittelbar nach dem Abschluss der „Souveränen Nationalkonferenz“ mögen stellvertretend für viele Folgende erwähnt werden:

  1. die schon erwähnte Entlassung des durch die „Souveräne Nationalkonferenz“ gewählten Premierministers;
  2. die Infragestellung der Legitimität der Nationalkonferenz und, als Folge davon, die Annullierung der von ihr getroffenen Entscheidungen;
  3. die Ernennung eines neuen Premierministers ohne Zustimmung des „Hohen Rates der Republik“;
  4. die Zusammenlegung des „Hohen Rates der Republik“ und des MPR-Parlaments.

So gab es nach dem Willen Mobutus zwei Premierminister, zwei Regierungen und zwei Verfassungen. Einige Quellen sprachen sogar von vier Verfassungen.

So gab es nach dem Willen Mobutus zwei Premierminister, zwei Regierungen und zwei Verfassungen. Einige Quellen sprachen sogar von vier Verfassungen.

Holzroller
Warentransport mit Holzrollern in Kivu, Foto: Peter Wilhjelm

 

  • Fehlendes alternatives Gesellschaftsmodell:
    • Die Opposition war nicht in der Lage, ein kohärentes Programm für die Zukunft zu präsentieren.
    • Die Ablehnung der Einheitspartei (MPR) war der einzige gemeinsame Nenner.
  • Spaltung der „Heiligen Allianz“:
    • Eifersucht und Neid auf Tshisekedis Popularität führten zur Spaltung der Opposition.
    • Mobutu nutzte die Uneinigkeit der Opposition aus, um seine Macht zu festigen.
  • Gesetzwidrige Entscheidungen Mobutus:
    • Entlassung des vom „Hohen Rat der Republik“ gewählten Premierministers.
    • Infragestellung der Legitimität der „Souveränen Nationalkonferenz“.
    • Ernennung eines neuen Premierministers ohne Zustimmung des „Hohen Rates“.
    • Zusammenlegung des „Hohen Rates“ mit dem MPR-Parlament.
  • Konsequenzen:
    • Zwei Premierminister, zwei Regierungen und zwei Verfassungen.
    • Stillstand des Demokratisierungsprozesses.
    • Stärkung Mobutus und seiner „Präsidialbewegung“.

Exkurs: Historischer Rückblick

Um die Umstände, die zur Absetzung Mobutus geführt haben, zu verstehen, erweist sich dieser historische Rückblick als notwendig. Wie in der Folge gezeigt wird, stellte bzw. stellt sich die Kivu-Region als Pulverfass der Republik dar.

Zur Kivu-Region

Die Kivu-Region umfasst eine Fläche von ca. 27000 km² (1,15 % des Landes). Das Gebiet, auch das Zwischenssengebiet im Osten Kongos genannt, hat im Durchschnitt eine Bevölkerungsdichte von 150 Einwohnern/km² (bevölkerungsreichstes Gebiet des Landes).

Für Franzosen und Deutsche könnte die Kivu-Region an die lange Zeit chaotisch verlaufene Geschichte des Elsass erinnern: Ein relativ schmaler Landstreifen, zwischen Wasser und Bergen eingezwängt, eine umstrittene „natürliche“ Grenze, eine zweisprachige Bevölkerung, um die sich zwei Staaten streiten.

Historischer Hintergrund

Schon vor der Kolonialzeit, einige Quellen sprechen vom 17. Jahrhundert, wurde in der Kivu-Region die Präsenz von einer ruandischsprachigen Bevölkerung signalisiert. Sie nannte sich Banyaruanda (wörtlich: „die Leute von Ruanda“). Seit 1967 nennen sich die ruandischsprachigen Bewohner von Süd-Kivu Banyamulenge, um sich von den Flüchtlingen aus Ruanda-Urundi, so die Bezeichnung des Mandatsgebietes in belgischer Zeit, von 1959 und folgenden Jahren, die sich ebenfalls in Kivu niedergelassen hatten, zu unterscheiden. Wörtlich bedeutet der Begriff „Banyamulenge“ die „Bewohner von Mulenge“, wobei hinzuzufügen ist, dass Mulenge ein Ort im Kreis Uvira im Gebiet der Volksgruppe Bafuliro ist und ca. 10 km südlich von Lemera liegt. Im Jahre 1910 zogen Belgien und Deutschland (als Kolonialherren) eine neue Grenzlinie zwischen Belgisch-Kongo und Ruanda-Urundi. Im Rahmen der Clan- und Familienzusammenführung konnten die Banyaruanda, die durch die neue Grenzziehung getrennt wurden, sich ihren Volksgruppenangehörigen entweder in Belgisch-Kongo oder in Ruanda-Urundi anschließen. So fand eine „freie“ und friedliche Völkerwanderungswelle in Kivu statt. Zwischen 1918, dem Jahr, in dem Deutschland seine Kolonie verlor, und 1948 kamen zusätzliche Banyaruanda in den Belgisch-Kongo. Einige legal, andere durch die grüne Grenze. Sie verließen die ehemalige deutsche Kolonie, Ruanda-Urundi, aus unterschiedlichen Gründen (schlechte Lebensbedingungen, Gehorsamsverweigerung den Bami/Fürsten (Singular: Mwami, Plural: Bami) gegenüber, gerichtliche Verfolgungen, Anwerbung als Arbeitskräfte durch die belgische Kolonialverwaltung usw.).

Aus dem Vorhergehenden ist sichtbar, dass die Kivu-Region eine traditionelle Einwanderungsregion für die ruandischsprachige Bevölkerung darstellte, die auf der Suche nach bebaubarem Land war, das in der Gegend der Großen Seen immer rarer wurde. Es waren Menschen, die Tutsi-Hirten waren, aber auch Hutu-Hirten und -Bauern. Sie hatten sich nicht mit der örtlichen Bevölkerung vermischt, sondern mit den ortsansässigen Gruppen Übereinkünfte getroffen, um sich in hochgelegenen Bergregionen niederlassen zu können.

Die Raumordnungs- und Landnutzungssysteme (Ackerbau und Viehzucht) beeinflussen das traditionelle Recht und verleihen ihm einen feudalen Aspekt. Der Mwami (der Fürst) kann an die Fremden ein Nutznießungsrecht erteilen, und der Nutznießer verpflichtet sich, ihm einen großen Teil der Ernte zu geben. In der Vergangenheit war dieses Nutznießungsrecht durch einen Vertrag zwischen den Fürsten und den Einwanderern besiegelt worden. Der Vertrag hieß „kalinzi“ bei den Bashi, „vusoki“ bei den Banande und „mutobo“ bei den Bahandi. Es ist kein juristischer Akt im Sinne des Code Napoléon, sondern ein Beweis für die Integration der Fremden in die Volksgruppe, die dadurch ihren Ausländerstatus verlieren. Diese Integrationspolitik der Ausländer wurde aufgrund der Bodenknappheit sehr behutsam angewandt. Bei anhaltender Zunahme der Bevölkerung ohne Vervielfachung der Bodenfläche hatte jedoch diese Form der Integrationspolitik zu Entstehung und Verschärfung der Bodenknappheit geführt, mit der Folge, dass sich das Verhältnis Menschen/Boden verschlechterte: von 216 ha pro Person im Jahr 1958 ging es auf 81 ha im Jahr 1996 zurück.

Zu schwerwiegenden Unruhen („Kanyaruanda“) kam es im Jahr 1965 in den Verwaltungskreisen Goma, Masisi, Rutshuru und Walikale (Nord-Kivu). Diesen Unruhen lagen Faktoren zugrunde, die auf die Folge der starken Zunahme der ruandischsprachigen Bevölkerung zurückgingen:

  • Die Zunahme des Anteils von Bayarwanda-Kindern, die in manchen Schulen bis zu 90 % der Schüler ausmachte, führte dazu, dass Suaheli zugunsten der Kinyarwanda-Sprache aus den Schulen gedrängt wurde. Dies galt auch für die Gottesdienste, die nur in Kinyarwanda gehalten wurden;
  • Beschaffung geheimer Druckereien zur Herstellung von gefälschten kongolesischen Urkunde und Ausweisen;
  • Gehorsamsverweigerung gegenüber den einheimischen Bami/Fürsten;
  • eigenmächtige Besetzung von Grund und Boden;
  • gezielte Förderung der Auswanderungspolitik Richtung Nord-Kivu seitens der ruandischen Regierung, mit dem Ziel der Annektierung der kongolesischen Landkreise Goma, Rutshuru und Masisi;
  • Umfunktionierung der Gottesdienste in politische Kundgebungen, in denen sogar Gewalt als Mittel zur Durchsetzung der Rechte der Banyaruanda gepredigt wurde;
  • Geltendmachung des Anspruchs auf die kongolesische Staatsbürgerschaft nur aufgrund ihres hohen Anteils an der Bevölkerung Nord-Kivus.

Die Teuwen-Kommission

1965 gründete die Zentralregierung in Kinshasa unter M. Tshombe eine nach dem Namen des belgischen Leiters genannte Kommission, „Teuwen-Kommission“, die den Auftrag bekam, die Ursachen der Unruhen in Nord-Kivu zu untersuchen. In diesem Rahmen führte die „Teuwen-Kommission“ Gespräche mit allen Teilen der Bevölkerung (Fürsten, Behörden, Lehrern, Beamten und Angestellten, Geistlichen und einfachen Bürgern). Die insbesondere zu beantwortenden Fragen waren:

  • Woher und wann kam die Volksgruppe der Banyaruanda in die Kivu-Provinz?
  • Haben alle Banyaruanda ein Recht auf die kongolesische Staatsbürgerschaft?

Den Untersuchungsergebnissen der „Teuwen-Kommission“, die die Banyaruanda als Anstifter der Unruhen überführt hatten, ist auch zu entnehmen, dass je nach der Periode und dem Charakter der Einwanderungsgeschichte die Banyaruanda in der Kivu-Region in 4 unterschiedliche Kategorien klassifiziert werden können:

  1. freiwillige Einwanderer (les immigrés libres),
  2. Geflohene (les fugitifs),
  3. die Banyaruanda, die von der belgischen Kolonialmacht im Rahmen ihrer Kolonialpolitik sesshaft gemacht wurden (les immigrés implantés par les autorités belges pour les besoins le la colonisation),
  4. die Geflüchteten von 1959 und folgenden Jahren (les refugiés des années 1959 et des années suivantes).

Bis auf die Kategorie a), freiwillige Einwanderer, besaßen die unter den Punkten b), c) und d) fallenden Migranten keine kongolesische Staatsbürgerschaft.

Wasserkraftwerk
Wasserkraftwerk bei Kisangani

Nach der Machtübernahme durch Mobutu (November 1965) kehrte die Ruhe in der Region wieder ein. Die Machtstrategie Mobutus bestand u. a. darin, in seine nahe Umgebung die Vertreter der Minderheitsgruppen zu holen, d. h. diejenigen, die nicht in der Lage waren, für sich wichtige politische Klientel zu mobilisieren. Dies war auch der Fall der Banyaruanda, deren ethnische Basis im Kongo schwach, nicht gesichert oder fast inexistent war und die auf diese Weise erhebliche politische und geschäftliche Vorteile aufgrund ihrer Position in der Machtnomenklatur ziehen konnten.

In diesem Zusammenhang mag ein Mann genannt werden, Barthélémy Bisengimana, ruandischer Abstammung, der zwischen 1969 und 1977 Direktor des Präsidialbüros war und in dieser Eigenschaft eine wichtige Rolle bei der Förderung der Tutsi-Migranten insbesondere und der Banyaruanda im Allgemeinen gespielt hatte. Unter seinem Einfluss gewährte Mobutu 1972 allen ruandischsprachigen Bewohnern, die sich in der zurückliegenden Zeit im Kongo niedergelassen hatten, die Staatsbürgerschaft. Diese Entscheidung betraf ca. 300.000 Personen, die in den Kreisen Masisi, Rutshuru, Walikale und Goma lebten. Aber sie ließ den Fall der Geflüchteten von 1959 und den folgenden Jahren unberücksichtigt.

Diese von Mobutu kollektiv gewährte kongolesische Staatsbürgerschaft beinhaltete ethnischen, politischen, wirtschaftlichen und sozialen Sprengstoff und reaktivierte Spannungen

  • zwischen autochthonen Volksgruppen und den kongolesischen Hutu- und Tutsi-Minderheiten der Kategorie a), d. h. die freiwilligen Einwanderer, die kongolesische Staatsbürger waren,
  • zwischen den kongolesischen Staatsbürgern einerseits und den Einwanderern und Flüchtlingen aus den Nachbarstaaten Ruanda und Burundi andererseits,
  • zwischen den kongolesischen Hutu- und Tutsi-Minderheiten einerseits und andererseits den Hutu und Tutsi aus Ruanda in der Kivu-Region, insbesondere im Zwischenseengebiet von Nord- und Süd-Kivu.

Das „Bakajika-Gesetz“

Am 20. Juli 1973 wurde das „Bakajika-Gesetz“ verabschiedet. Das nach seinem Initiator benannte Gesetz, Bakajika, hatte das traditionelle Bodenrecht außer Kraft gesetzt und nicht nur Grund und Boden, sondern auch die Bodenschätze an den Staat übertragen, der auch ermächtigt war, diese an Privatpersonen zu verkaufen. Laut dem alten Bodenrecht durften Familien und Einzelpersonen im Allgemeinen kein Eigentum an Grund und Boden besitzen. Die legitimen Eigentümer von Grund und Boden waren die Ahnen und alle Verstorbenen der Volksgruppe.

Reiche Migranten aus Ruanda und Burundi dank der ihnen erteilten kongolesischen Staatsbürgerschaft beriefen sich auf das „Bakajika-Gesetz“ und erwarben kraft der Nationalisierungsmaßnahmen von 1972 Grund und Boden in Nord- und Süd-Kivu. Dies führte zu Unzufriedenheit und Unruhen unter den autochthonen Volksgruppen (Hunde, Nyanga und Nande in Nord-Kivu; Bavira und Bafuliro in Süd-Kivu), denen die Begriffe „Privateigentum, Unantastbarkeit des privaten Eigentums, Zutrittsverbot in ein sog. Privatgelände inmitten eines Volksgruppengebietes“ fremd waren.

Das Nationalitätsproblem der Banyaruanda blieb für die einheimische Bevölkerung immer umstritten. Im Rahmen einer Politik der „Authentizität“ („Rückkehr zum Ursprung“), die von Mobutu zur Grundlage seiner Politik erhoben wurde, erschien es gegensätzlich, wenn man Banyaruanda, d. h. Ausländern, die kongolesische Staatsangehörigkeit verleiht.

Ruiniert durch das kleptokratische Regime Mobutus hatten die Kongolesen der Kivu-Region, die sich „echte Kongolesen“ nannten, versucht, der ruandischsprachigen Bevölkerung das Leben schwer zu machen und sie zu verdrängen. Dieser unerwartete Widerstand der einheimischen Bevölkerungsgruppen überraschte Mobutu und die Regierung in Kinshasa. Sie versuchten mittels brutaler bzw. der „Nutzung der freien Verfügungsgewalt des Instrumentariums der Enteignung“, sprich, „Bakajika-Gesetz“, entgegenzuwirken. Auf einer Sitzung des Zentralkomitees seiner Einheitspartei stellte Mobutu die folgende Frage: „Qui au Zaïre est Zaïrois, et qui ne l’est pas?“ – frei übersetzt: „Wer in Zaïre ist eigentlich Zaïrer und wer ist es nicht?“. In Bezug auf Nord- und Süd-Kivu konnte diese Frage nicht beantwortet werden. Daraufhin erkannte Mobutu den Banyaruanda die Staatsbürgerschaft 1981 durch ein weiteres Gesetz wieder ab, ein Gesetz, das ebenso wenig eingehalten wurde wie das vorherige. Einige böse Zungen meinen, dass das nur passieren konnte, weil Bisengimana 1977 aus seiner Funktion als Direktor des Präsidialbüros entlassen wurde. Dadurch verloren die Banyaruanda ihren Paten im Zentrum der Macht.

Die Anfang der 90er Jahre durch die „Souveräne Nationalkonferenz“ eingeleitete Demokratisierungspolitik erschwerte die Lage der Migranten in der Kivu-Region, die über keine Vertretung bei diesem Treffen verfügten, aber im Übergangsparlament vertreten waren. Die Vertreter der Banyaruanda im Übergangsparlament wurden von einheimischen Vertretern der Kivu-Region mit Misstrauen betrachtet. Man befürchtete, dass Mobutu sie aufgrund ihrer nicht eindeutigen Staatsbürgerschaft bei den bevorstehenden Wahlen mit einem der ihm eigenen Wendemanöver benutzen könnte.

Das Übergangsparlament und die Regierung verloren die Kontrolle über die Entwicklung der Lage an Ort und Stelle. So beobachtete man überall im Gebiet der Großen Seen Ost-Kongos die Entstehung von „ethnischen Organisationen“, die sich auf Konfrontationen vorbereiteten. In Masisi und Walikale fing 1991 ein zweiter Aufstand („Kanyaruanda“) an, der bis Ende 1993 dauerte. Massaker, Viehtötung, Plünderungen und Brandstiftungen waren Folgen der Auseinandersetzungen zwischen Banyaruanda und kongolesischen ethnischen Milizen.

Dank der beiden durch die Kirchen und NGOs zwischen November 1993 und Februar 1994 organisierten Gespräche, an denen die Vertreter der Konfliktparteien teilgenommen hatten, kam es zur Ruhe. Aber nur für kurze Zeit. Nach dem siegreichen Einmarsch der Ruandisch-Patriotischen Front in Kigali 1994 flohen mehrere 100.000 Hutu und fanden Asyl entlang der Grenze zwischen Ruanda und den beiden Kivu-Provinzen. Für die kongolesischen Einwohner der Kivu-Region handelte es sich bei dieser „Invasion“ um einen Plan, der von kongolesischen Hutu mit Unterstützung Mobutus organisiert war, mit dem Ziel der Einrichtung eines „Hutu-Landes“ in der Kivu-Region, das auch Heimat für die ruandischen Hutu werden sollte.

Der Sieg der Ruandisch-Patriotischen Front und die regionale Geopolitik

Der Sieg der Ruandisch-Patriotischen Front führte auch zur Modifizierung der regionalen Geopolitik. Der Bruch innerhalb der kongolesischen Hutu und Tutsi wurde nunmehr breiter. Die kongolesischen Tutsi baten die Regierung in Kinshasa um Schutz, da ihr Leben in Nord-Kivu gefährdet war. Die Zahl der Tutsi-Opfer nahm zu. Dies war der Beweis dafür, dass der von den Interahamwe-Milizen in Ruanda 1994 verübte Genozid im Kongo Gestalt annahm und deutlich wurde. Die seit Jahren in Rutshuru lebenden kongolesischen Hutu warfen ihrerseits den Tutsi vehement vor, durch Desinformation, Lüge und Morde die Unsicherheit zu schüren. Für die Kongolesen verhielten sich die Tutsi opportunistisch. Sie fragten vorwiegend die Banyamulenge, weshalb sie nach dem Sieg der Ruandisch-Patriotischen Front, einem Sieg, zu dem sie beigetragen hatten, nicht nach Ruanda umziehen wollten. Einige Tutsi, die sich nach Ruanda begaben, taten es, nur um zu vergleichen, welches der beiden Länder ein sichereres Leben bieten würde. Diejenigen, die über finanzielle Mittel verfügten, hatten solche Probleme nicht. Sie lebten in Ruanda wie Ruander und im Kongo wie Kongolesen.

Knochenfetisch Lega Foto: Harry´s Hamburger Hafenbasar
Knochenfetisch Lega, Foto: Harry’s Hamburger Hafenbasar

Die Rohheit der Machthaber ab Anfang der 80er Jahre und die Blockadepolitik während der „demokratischen Transition“ ab 1990 ließen den Kongo-Staat herrenlos werden. Dies erklärte auch die plötzliche Beschleunigung der politischen Entwicklung, die man ab Mitte 1996 beobachten konnte.

Die demographische Karte Kongos zeigte eine besonders hohe Bevölkerungskonzentration entlang der östlichen Grenze des Landes mit Ruanda und Uganda. Die Bevölkerungsdichte lag zwischen 100 und 800 Einwohnern/km². Die Folge davon war Bodenknappheit, die die Bevölkerung dazu zwang, die poröse Grenze zu illegalem Handel mit Asien über Uganda, Kenia und Dubai zu nutzen.

Das Zwischenseengebiet Ost-Kongos war auch eine Zone von Gewalttätigkeiten und politischen Rebellionen, die sich ab Anfang der 90er Jahre von Burundi über den bergigen Kivu, Ruanda und West-Uganda bis zum Süd-Sudan ausbreitete. Die Zahl der bewaffneten Bewegungen, die die Staaten in dieser Region Afrikas bedrohten, war sehr hoch. Neben der siegreichen Ruandisch-Patriotischen Front, die von Uganda aus Ruanda im Oktober 1990 angegriffen und 1994 Kigali erobert hatte, zählte man die Hutu-Rebellen von der Front für die Verteidigung der Demokratie (FDD). Man zählte auch die Süd-Rebellen von der sudanesischen Armee für die Volksbefreiung (SPLA), die seit 1983 gegen die Regierung in Khartoum kämpfte. In Bezug auf Uganda kämpften die revolutionäre Gottesarmee und die bewaffnete ugandische Allianz der demokratischen Front.

Man lag also nicht fehl in der Annahme, dass, wenn etwas im Kongo passieren würde, es nur von dieser Region ausgehen könnte. Dennoch fand das Aufflammen am 15.4.1994 in Ruanda statt, dem Tag, an dem Belgien der UNO-Friedensmission in Ruanda (MINUAR) ein Ende setzte. Dies löste nach der Ermordung des ruandischen Präsidenten Habyarimana den Völkermord aus, der wiederum die Flucht von hunderttausenden ruandischen Hutu in die ohnehin übervölkerte Kivu-Region nach sich zog.

Die Zusammensetzung der Bevölkerung sowie die Bevölkerungsdichte erfuhren durch die Flüchtlingswelle eine dramatische Veränderung. Auf ca. einem Drittel des Gebiets, d. h. auf ca. 9.000 m², drängten sich nun mehr als 2 Millionen Menschen, zu, denen vorwiegend die Geflüchteten zählten. Dies war eine Bevölkerungsdichte von mehr als 22.200 Menschen/km². Deswegen erwies sich das Zwischenseengebiet Ost-Kongos als ein ständiges Pulverfass der Nation.

Die Angst der angestammten Bevölkerung vor der Gründung eines „Hutu-Landes“ wurde in der Tat im Rahmen des Banditentums, das die Hutu-Flüchtlingslager darstellten, aktualisiert. Von da wurden Angriffe nicht nur gegen das benachbarte Ruanda, sondern auch im Inneren der Kivu-Region geführt. So wurden beispielsweise in Masisi 300.000 Stück Vieh durch die Interahamwe gestohlen und verkauft. Mit dem Erlös wurden Waffen gekauft, die bei Angriffen auf Ruanda, Uganda und Burundi verwendet wurden. Für die Regierung in Ruanda, die infolge des Völkermordes noch nicht konsolidiert war, war diese Situation inakzeptabel. Genauso wie für Präs. Museveni von Uganda, dessen Grenzgebiete von ugandischen, kongolesischen und sudanesischen Klein- und Mittel-Kriegsherren überfallen wurden.

So taten sich Kagame und Museveni zusammen, um die Region zu „befrieden“. Ihre Interessen waren nicht nur geopolitischer Natur. Der bergige Kivu bildete auch den Gegenstand der Begehrlichkeit wegen seiner reichen Minen- und Agroindustrie (Plantagen). Überdies war Ost-Kongo auch ein Territorium, wohin man den Überschuss von jungen Soldaten in der ugandischen und ruandischen Armee, die man hätte demobilisieren müssen, exportieren konnte, weil sie entweder ihre Tutsi-Brüder rächen wollten oder sie in der Tat durch die ruandische Macht dazu ermutigt wurden.

Nachdem die Ruandisch-Patriotische Armee die Flüchtlingslager attackiert und die Geflüchteten zur Flucht im Inneren Kongos gezwungen hatte, eroberten die jungen Banyamulenge, die seit 1990 in der Ruandisch-Patriotischen Front gedient hatten, Süd-Kivu (Uvira, Bukavu). In Nord-Kivu wurden sie durch eine Mischung aus ugandischen und kongolesischen Oppositionellen (Mai-Mai) und von jungen kongolesischen Tutsi unterstützt, die mit ihren Eltern 1994 aus Masisi ausgewiesen worden waren und Goma besetzt hatten.

Der Sturz Mobutus

Vor diesem Hintergrund wurde am 18.10.1996 unter der Schirmherrschaft von Ruanda und Uganda die „Allianz Demokratischer Kräfte für die Befreiung Kongos“ (AFDL) als ein Zweckbündnis zwischen verschiedenen Gegnern Mobutus gegründet. Ein Zweckbündnis, dessen unmittelbare Entstehung zurückgeht auf „den bewaffneten Aufstand der Banyamulenge-Tutsis in Süd-Kivu gegen das kongolesische Regime, das sie als Ausländer betrachtete und ab Sommer 1996 aus dem Land jagen wollte – genauso wie in den Jahren davor Banyamisi-Tutsi in Nord-Kivu Opfer von Massenvertreibungen nach Ruanda geworden waren“ (TAZ vom 9.4.1997). Es stellt sich die Frage: warum diese Zusammenarbeit zwischen Kigali, Kampala und AFDL? Die deutsche Wochenzeitung „Die Zeit“ vom 28.3.1997 sprach in diesem Zusammenhang von der Offensichtlichkeit der gemeinsamen Interessen. Die neuen Machthaber in Ruanda wollten die letzten Reste der nach Kongo geflohenen ehemaligen ruandischen Mitglieder der Streitkräfte und der extremistischen Hutu-Milizen unwirksam machen. Die Ugander hielten zum einen treu zu Ruanda und zum anderen wollten sie, dass endlich Ruhe im Ost-Kongo einkehrt. Die AFDL wollte das Ende einer über drei Jahrzehnte währenden Mobutu-Diktatur. Neben Ruanda und Uganda gab es auch andere afrikanische Länder, die aus unterschiedlichen Gründen an der Kampagne der AFDL teilgenommen hatten. Zu nennen wären Burundi, Angola und Simbabwe. Einige Quellen berichten auch über die Präsenz von äthiopischen und eritreischen „Söldnern“, die der AFDL beistanden. Die USA hatten auch auf indirekte Weise partizipiert. Der Regierung in Kinshasa standen Frankreich, Togo, der Sudan und die angolanische UNITA bei. Kuwait wurde in diesem Zusammenhang auch als Unterstützer von Mobutus Regierung in Hinblick auf Finanzen genannt.

Nach nur achtmonatigem, fast kampflosem Krieg wurde dem diktatorischen Regime Mobutus ein Ende gesetzt, und Zaïre heißt seitdem wieder Demokratische Republik Kongo. Am 28. Mai 1997 wurde L.-D. Kabila zum Staatspräsidenten vereidigt.

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